Sitzblockaden – Legitim
gegen Nazis?
Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gilt für alle. Ist es trotzdem richtig, durch Sitzblockaden Demos von Neonazis zu behindern oder gar zu verhindern?
Ja, denn gewaltfreie Blockaden sind eine Gewissensentscheidung.
Christian Staffa, Geschäftsführer der Aktion Sühnezeichen-Friedensdienste
Wir Christ_innen müssen und wollen uns überall gegen den gesellschaftlichen und politischen Rechtsextremismus wehren, weil er fundamental unseren christlichen Grundüberzeugungen widerspricht. Es geht um den Kern unseres Glaubens an Gottes Schöpfung, unser aller Geschöpflichkeit ohne Unterschiede im Ansehen der Person.
Darüber hinaus ist die biblische Botschaft parteilich an der Seite der Schwachen: „Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig“. Es geht um die biblische Orientierung am Schwachen, sowie am Volk Israels, die für unsern Glauben zentral sind und den Ideologien der Ungleichwertigkeit von Menschen und Rassismus und Antisemitismus diametral entgegenstehen. Gerade weil wir als Christ_innen das Recht auf freie Meinungsäußerung als hohes Gut schätzen, müssen wir uns denen entschlossen entgegenstellen, die das Zentrum christlichen Glaubens angreifen, die unveräußerlichen Menschenrechte mit Füßen treten und die Demokratie beseitigen wollen.
Von den Kriminalisierungsversuchen zivilen Ungehorsams durch Politker_innen und Behörden lassen wir uns nicht irritieren. Gewaltfreie Blockaden sind eine Gewissensentscheidung und gehören zum Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Die unabdingbare und bedingungslose Friedlichkeit aller Aktions- und Protestformen ist für Christinnen und Christen in der Nachfolge Christi unbedingte Voraussetzung für solches Handeln. Wir rufen alle Menschen und insbesondere Christ_innen – Junge und Alte, aus Ost oder West, mit oder ohne deutschen Pass – auf, Neonazis nie ungehindert marschieren zu lassen.
Nein, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung gilt unabhängig von der vertretenen Meinung.
Alfred Roos ist Geschäftsführer der RAA Brandenburg und seit Jahren im Vorstand des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit aktiv.
Sind Sitzblockaden gegen Naziaufmärsche legitim oder nicht? Keine einfache Frage und deshalb keine einfache Antwort. Es gibt aus meiner Sicht dazu moralisch-politische, rechtliche und politisch-strategische Argumentationen:
Rechtlich: Sitzblockaden sind, wenn sie eine zugelassene Demonstration verhindern wollen, nicht legitim. Warum? Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gelten unabhängig von der Meinung, die dort vertreten wird. Diese Grundrechte zu schützen, ist die Aufgabe der Polizei und der demokratisch orientierten gesellschaftlichen Gruppen. Im demokratisch verfassten Rechtsstaat hat der Satz zu gelten: Im Zweifel für die Freiheit, auch wenn die Meinung, die dort vertreten wird, abstoßend und undemokratisch ist. Die Freiheitsrechte gelten auch für die Feinde der Freiheit, sie gelten auch für die Feinde einer offenen, solidarischen und pluralen Gesellschaft. Gerade der Staat hat sich bezüglich der Beschränkung der Grundfreiheiten zurückzuhalten. Ich empfehle hier zur weiteren Lektüre den Beitrag des Mitglieds des Aktionsbündnisses, Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg.
Moralisch-politisch: Eine bürgerrechtlich orientierte Position müsste sich sogar die Frage stellen, ob sie sich nicht aktiv für das Recht der Inanspruchnahme des Grundrechtes durch die Demokratiefeinde einsetzen muss. Wer vom Staat fordert, rechtsextreme Kundgebungen zu verbieten, lässt zu, dass durch das Agieren von Rechtsextremen Grundrechte und Grundfreiheiten eingeschränkt werden. Eine bürgerrechtlich nur schwer erträgliche Position. Meine moralisch-politische Schlussfolgerung sieht folgendermaßen aus: Es gibt auch in der Demokratie Situationen, in denen Blockaden legitim sein können. Ich lege aber für mich die Messlatte, wann diese legitim sind, sehr hoch. Auf Neonazi-Aufmärsche bezogen: Das Gut, das ich durch eine Blockade schützen will, muss mir als politisch Handelndem sehr wichtig sein. Z.B. wenn durch die Demonstration von Neonazis schwache Gruppen eingeschüchtert und geängstigt werden, d.h. wenn sie sich beispielsweise gegen Flüchtlingsheime, Einrichtungen von Eingewanderten, Einrichtungen, die an die Gewalttaten der NS-Zeit erinnern (Gedenkstätten) oder gegen Einrichtungen richten, die eine besondere Bedeutung für die Opfer des alten und neuen NS-Terrors haben. Dies können z.B. Synagogen, Moscheen und weitere Kulturvereine sein. In diesem Fall halte ich aus moralischen Gründen friedliche Blockaden für legitim. Aber sie sind nur das letzte Mittel. Einen Automatismus, der heißt, wo Rechtsextreme demonstrieren, wird blockiert, halte ich für nicht legitim.
Politisch-strategisch: Blockaden – Ausnahmen bestätigen die Regel – sprechen eher junge Menschen als ältere an, sind eher städtisch als ländlich geprägt. Ich befürchte, dass durch die Brandenburg-nazifrei-Aktivitäten die „bürgerlicheren“ Formen des Protestes gegen Rechtsextreme und Neonazis zurückgedrängt werden. Es besteht die Gefahr einer Konkurrenz um die „eindeutigere“ Form des Protestes, der die Zivilgesellschaft vor Ort schwächt. Wenn ich die Brandenburger/innen in der Fläche des Landes mitnehmen will, dann muss ich mich politisch-strategisch auf die Handlungsmöglichkeiten einlassen und diese stärken, die die Menschen vor Ort als ihre eigenen Möglichkeiten erkennen und wählen. Politisch-strategisch ist auch mein letztes Argument: Auch wenn friedliche Blockierer/innen nicht für die Straftaten von selbsternannten Straßenkämpfern aus den diversen schwarzen Blöcken verantwortlich gemacht werden dürfen, die sich ein ums andere Mal an die Blockaden anhängen, so sind es gerade diese Bilder, die von der Presse aufgenommen werden und für das manchmal schlechte Image von Blockaden sorgen. Plötzlich steht in der öffentlichen Darstellung der friedliebende und ordentliche Neonazi neben den vermummten – angeblich linken – Straßenkämpfern, die ihren Hass gegen das System an der Polizei auslassen. Diese Bilder verschrecken Demokratinnen und Demokraten, die weder mit den Neonazis noch mit dem „schwarzen Block“ etwas gemein haben.
1 Kommentare
Unbedingt brauchen wir mehr zivilen Ungehorsam, also Menschen, die für eine wichtige „Sache“ einstehen und sich der Traditionen eines Walter Jens,einer Inge Jens, eines Heinrich Böll und Marianne Böll und anderer verpflichtet fühlen; natürlich eben seines eigenen Verstandes verpflicht…
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- Aktionsnetzwerk gegen Rechtsextremismus Jena: "Ziviler Ungehorsam gegen rechtsextreme Aufmärsche"
- Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus: "Nächstenliebe verlangt Klarheit – Kein Naziaufmarsch, nirgendwo"
- Erardo C. Rautenberg: "Demonstrationsrecht und Ziviler Ungehorsam"
- Innenministerium Brandenburg: "Möglichkeiten und Grenzen polizeilichen Einschreitens gegen Sitzblockaden"
- Jürgen Habermas: "Ungehorsam mit Augenmaß" (Die ZEIT, 1983)
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