Hintergrund: Demo-Routen veröffentlichen
Rund 120 NPD-Anhänger und -Anhängerinne versammelten sich im September 2011 auf dem Berliner Alexanderplatz. Von Protesten war kaum etwas zu sehen. Denn bis zuletzt hatte die Polizei der Öffentlichkeit jede Information über den Versammlungsort der Neonazis vorenthalten.
Mit einem ähnlichen Verhalten war die Berliner Polizei bereits im Mai 2011 in die Kritik geraten. Damals überrannten Neonazis im Zuge eines geheim gehaltenen Aufmarsches im Stadtteil Kreuzberg die Polizeikräfte und griffen Protestierende an.
Geheimveranstaltungen für Neonazis?
Alle Parteien der damaligen Opposition kritisierten das Vorgehen der Polizei: Die Grünen-Abgeordnete Clara Herrmann bezeichnete die „Geheimhaltungsstrategie“ als „völlig inakzeptabel“, Björn Jotzo (FDP) plädierte für mehr Transparenz und auch der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Robbin Juhnke, sagte, es könne „keine Geheimveranstaltungen für die NPD geben“.
Der ehemalige Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hatte daraufhin im Innenausschuss angekündigt, dass künftig alle extrem rechten Kundgebungen und Aufmärsche mindestens einen Tag vorher veröffentlicht werden sollten. Im September wurde dieses Versprechen offensichtlich nicht gehalten.
Prävention von Straftaten
Die Polizeiführung verteidigte das Vorgehen. Durch die Nicht-Veröffentlichung werde es Gegendemonstranten erschwert, „rechtswidrige Verhinderungsaktionen“ wie zum Beispiel Sitzblockaden durchzuführen, aus sicherheitstaktischen Gründen wolle man keine Auskunft über den genauen Ort oder die Zeit geben. Um gewalttätige Auseinandersetzungen zu vermeiden, sei Schweigen die bessere Einsatztaktik, befand auch Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD) bezüglich einer Versammlung von Rechten im Juni 2011 in Neuruppin.
Grundpfeiler der Demokratie
Kern dieser Debatte sind die Artikel 5 und 8 des Grundgesetzes. Eine zentrale Frage dabei ist, welches Recht höher eingestuft wird: das Recht auf Versammlungsfreiheit der Neonazis oder das Recht auf Protest in Hör- und Sichtweite. Da angemeldete Demonstrationen unter einem besonderen Schutz stehen, könne man Informationen über den Versammlungsort nicht frühzeitig bekannt geben – vor allem nicht gegen den Willen des Veranstalters und bei drohender Gefahr gewalttätiger Proteste. Dies habe grundsätzlich Vorrang vor dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit. Eine Demokratie müsse eben auch die Rechte von Neonazis akzeptieren.
Andererseits, so argumentiert beispielsweise Bianca Klose, Leiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin, müsse sich eine Partei wie die NPD gerade in einer Demokratie den Protest der Bevölkerung gefallen lassen. Auch die Meinungsäußerung durch Gegendemonstrationen ist durch das Grundgesetz geschützt und Proteste gehören zur demokratischen Willensbildung.
Wem nützt eine Geheimhaltung?
Das Beispiel der Angriffe durch Neonazis im Mai in Berlin zeigt, dass eine rechtzeitige Information der Öffentlichkeit auch das Sichertheitsbedürfnis von Anwohnerinnen und Anwohner schützen kann. Auf der anderen Seite kann man jedoch davon ausgehen, dass durch eine späte Veröffentlichung auch die Mobilisierungsfähigkeit der Neonazis herabgesetzt wird. Allerdings wird so der Eindruck von staatlich geschützten Geheimaufmärschen erweckt.
Parallel zu solchen Diskussionen reagieren Neonazis mittlerweile jedoch auf ihre eigene Art und Weise. Unter dem Motto „Werde unsterblich!“ fanden im vergangenen Jahr mehrfach unangemeldete Demonstrationen statt, unter anderem in Bautzen am 1. Mai, in Stolpen im September oder in Potsdam im November 2011. Maskierte Neonazis treffen sich nachts zumeist in einer ländlichen Region, tragen Fackeln und ein Fronttransparent mit der Aufschrift „Damit die Nachwelt nicht vergisst, dass du Deutscher gewesen bist!“ und skandieren Parolen. Diese Flashmobs dauern nur kurz, dokumentiert werden sie im Nachhinein per Video auf YouTube. Das sächsische Landeskriminalamt reagierte Mitte Januar 2012 darauf mit über 40 Hausdurchsuchungen wegen der Teilnahme an einer nicht angemeldeten Demonstration.